Die Situation

In Deutschland ist Bildung Ländersache. Das heißt, dass jedes Bundesland selbst über seine Bildung, also Abstimmungen im Schulsystem, dem Lehrplan und eben auch über die Durchführung von Prüfungen, entscheiden kann. Bei uns in Bremen wurde dieses Jahr für die Abiturprüfungen, aufgrund der unsicheren Situation um das neuartige Coronavirus, noch ein zweiter Haupttermin angesetzt. Abiturient*innen mussten sich also im Vorfeld entscheiden, ob sie ihre Prüfungen vom 22.04.2020 – 07.05.2020 oder vom 12.05.2020 – 29.05.2020 ablegen wollen. Zusätzlich gibt es Anfang Juni den offiziellen Nachschreibtermin.

Mit dem Beginn der Schulschließungen ab dem 16. März wurde das Abschlussjahr abrupt um zwei Wochen verkürzt. Mottowoche, Nulltagefeier aber auch zwei Wochen an gemeinsamer Wiederholung im Unterricht als Abiturvorbereitung fielen von heute auf morgen weg.

Die Prüfungsvorbereitung sollte von da an allein zuhause mit der Unterstützung durch die Lehrkräfte über itslearning erfolgen. Wir fragen uns, wie hat das funktioniert und was denken unsere Abiturient*innen darüber? Und wie genau läuft so eine Abiturprüfung unter verschärften Hygienebedingungen ab?

Während der Prüfungen bleibt das Wesentliche gleich: volle Konzentration und es wird nicht gespickt. Drumherum ändert sich viel. Kleinere Gruppen in den Prüfungsräumen, Handdesinfektion vor dem Betreten des Prüfungsraumes, mehr Abstand zwischen den Tischen, regelmäßiges starkes Lüften aber auch kein Buffet für die Abiturient*innen und keine erhöhten Lärmpegel während der Hofpausen. Ungewohnt ist die Situation für alle Beteiligten in jedem Fall. Allein die Ankunft in der Schule spiegelt das wieder. Vor den Prüfungsgebäuden an entsprechenden Markierungen mit entsprechendem Abstand warten, und auch die beste Freundin/den besten Freund vor der Prüfung nicht nochmal drücken zu können verdeutlichen die Ambivalenz der Situation.

Wie denken Kippenberger Abiturient*innen?

Dafür haben wir von Kippebloggt bei unseren Abiturient*innen nachgefragt. Insgesamt haben 72 der 122 Abiturient*innen unserer Schule an einer Umfrage teilgenommen. Dabei haben zwei Drittel der Befragten ihre Prüfungen im ersten Zeitraum, ein Drittel im zweiten Zeitraum abgelegt. Das entspricht näherungsweise der tatsächlichen Aufteilung, in der sich 76 Schüler*innen (ca. 62 %) für den ersten Haupttermin entschieden. So lässt sich eine klare Tendenz bei der Wahl zum ersten Haupttermin erkennen, wohingegen bei der persönlichen Meinung zur Wahlmöglichkeit zwischen den Hauptterminen kein eindeutiger Trend erkennbar ist.

Tatsächlich sind zwei Wochen Unterricht, sowie pro Prüfungsfach ein prüfungsvorbereitender Tag nach den Osterferien weggefallen. Neue, abiturrelevante Unterrichtsinhalte wären vermutlich kaum weggefallen. Trotzdem wird die digitale Prüfungsvorbereitung mit einer signifikanten Mehrheit “schlechter” als die herkömmliche Vorbereitung eingeschätzt. Nur ein Abiturient/in beurteilte die digitale Vorbereitung besser als die herkömmliche Vorbereitung. Primär bereiteten sich 75 % der Schüler*innen mit einem Laptop, 14 % mit dem Smartphone und 11 % mit einem Tablet auf die Prüfungen vor. Als Kommunikationsmedium wurde dabei bei fast 90 % die Lernplattform itslearning benutzt. Ein erheblicher Zuwachs, verglichen mit der  allgemeinen Verwendung von itslearning noch im Dezember (siehe “Internet, Digitalisierung & Schule – passt das?“).  Dort schätzte nur knapp die Hälfte der gesamten Kippenberger Schülerschaft ihre Fähigkeiten im Umgang mit der Lernplattform als “gut” oder “sehr gut” ein. Zudem wurden während der Prüfungsvorbereitung Videokonferenzen via ‘Jitsi-meet’, ‘Zoom’ oder ‘Skype’ abgehalten.

Aber wie viel bringt das eigene Equipment, wenn der Umgang mit digitalen Medien bei den Lehrkräften noch Luft nach oben hat, beziehungsweise es keine Reaktionen auf gestellte Fragen gibt?

Die Aussage ‘Alle meine Lehrkräfte konnten gut mit digitalen Medien umgehen’ wurde nur von einer Person mit 1 (voll zutreffend) bewertet. Mehrheitlich überwiegt jedoch eine positive Resonanz, welches auch in den sonstigen Anmerkungen deutlich wurde. So wurden klare Unterschiede zwischen einzelnen Fachlehrkräften deutlich. Von der unmittelbaren Antwort bei allen Fragen und dauerhafte Hinweise zur Vorbereitung sowie der Bereitstellung von Übungsaufgaben inklusive Lösungen bis hin zu gar keinem Kontakt bis zur Prüfung lässt sich ein breites Spektrum vorfinden. Während ihrer Vorbereitung fehlte den meisten unserer Abiturient*innen der persönliche Austausch und Dialog mit Mitschüler*innen und Lehrkräften und damit die Möglichkeit, gegenseitig von Fragen und Ideen zu profitieren. In diesem Kontext wurden die Intensivvorbereitungstage sowie eine Vorbereitung auf die mündlichen Prüfungen mit der Möglichkeit auf z. B. Prüfungssimulationen am häufigsten genannt. Zudem wurden Struktur, persönliche Rückmeldungen und geöffnete Bibliotheken vermisst. Von der Prüfungsvorbereitung unabhängig fehlte den meisten der soziale Kontakt und die Möglichkeit einen Ausgleich (Teamsport, Musik, etc.) zu betreiben. Ferner fehlte ein Sicherheitsgefühl bezüglich der eigenen Pläne für die Zeit nach dem Abitur (angestrebte Auslandsaufenthalte, Freiwilligendienste o. Ä.) und Veranstaltungen wie die Mottowoche oder der Abiball.

Aber was heißt das jetzt?

Die derzeitige Situation ist für alle neu und bringt viele verschiedene Probleme wieder auf den Tisch. Ob der Klimawandel, Chancengleichheit in der Bildung oder Digitalisierung, diese Konflikte können nur gelöst werden, wenn sie jetzt schnell und direkt adressiert werden. Dabei stellen insbesondere die letzten beiden Aspekte in der Schule einen wichtigen Punkt dar.

Die digitale Vorbereitung war für alle nicht einfach und stellte immer wieder neue Herausforderungen und Fallen. So war eines der größten Probleme die erheblichen Unterschiede im Verhalten der Lehrkräfte und der damit einhergehenden ungleichen Vorbereitungsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Kursen. Im deutschlandweiten Vergleich steht Bremen im Zuge der Digitalisierung mit der eigenen Lernplattform itslearning verhältnismäßig gut dar – doch diese wird nicht von allen Seiten ausreichend genutzt. Es gibt immer noch genügend Lehrkräfte deren Umgang mit digitalen Medien zu wünschen übrig lässt. Deren Schüler*innen haben keinen Ausweg. Eine anderweitig mögliche Kontaktaufnahme zu anderen Lehrkräften wird noch schwieriger.

Für manche mag es sich nach einem Mythos anhören, aber dennoch: es gibt sie. Die digital kompetenten Lehrkräfte, die ihren Unterricht fast so weiterführen, als wäre nichts passiert. Ja gut, da kommt dann zum Teil die interaktive, soziale Komponente ein wenig kürzer, inhaltlich ist jedoch eine gute Vorbereitung gewährleistet. Auch an unserer Schule. Eine zu vereinfachende Lösung, die “Schuld” an möglicherweise schlechteren Prüfungsergebnissen einfach Lehrkräften in die Schuhe zu schieben wäre nicht nur sehr verallgemeinernd sondern vielmehr unfair gegenüber denjenigen, die einen erheblich größeren Aufwand betreiben um ihre Schüler*innen bestmöglichst vorzubereiten.

Dennoch bewerten viele Abiturient*innen die Situation für sich selbst als eine schlechtere verglichen zu vorherigen Jahrgängen, bzw. die Vorbereitung als sehr ungewohnt, sodass auch Forderungen nach angehobenen Bewertungsschlüsseln deutlich werden. Begründet werden diese häufig mit der schlechteren Vorhersehbarkeit und dass ein selbstständiges Lernen durch eigenes Aneignen oder Wiederholen von Wissen deutlich zeitintensiver ist.

Es ist verständlich, dass eine digitale Prüfungsvorbereitung für alle Beteiligten eine neue Situation darstellt und nicht nur den Lernenden, sondern auch den Lehrenden einiges abverlangt. Dabei ist von beiden Seiten eine positive Feedbackkultur und der Versuch der jeweils bestmöglichsten Unterstützung und Selbstständigkeit erforderlich.

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