Sascha Karolin Aulepp ist eine im hessischen Hanau geborene Juristin, Richterin und Politikerin. Sie ist seit 2005 Mitglied der SPD und seit 2021 die Senatorin für Kinder und Bildung der Freien Hansestadt Bremen. Wir hatten die Möglichkeit Frau Aulepp zu interviewen und dabei auch einige der zuvor in der Schüler*innen- und Lehrer*innenschaft gesammelten Fragen zu stellen.

Persönliche Einstellung zum Beruf & Berufliche Laufbahn

Wieso haben Sie sich für den Posten der Senatorin für Kinder und Bildung entschieden?

Weil es sich lohnt, für die Zukunft von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, aus Bremen und Bremerhaven zu arbeiten, auch wenn das harte Arbeit ist, unter den Bedingungen, die wir in Bremen haben.

Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf am besten?

Die Termine, wo ich von Kindern, Schülerinnen und Schülern und Kolleginnen und Kollegen, die in den Kitas und Schulen arbeiten, höre wie die Situation so ist und wo ich kein Blatt vor den Mund nehmen muss.

Wie sind Sie darauf gekommen von Ihrer Arbeit als Richterin und Anwältin zum Amt der Bildungssenatorin zu wechseln?

Ich habe mich auch in meiner Zeit als Jugendrichterin schon politisch engagiert, war dann Abgeordnete in der Bremischen Bürgerschaft und Landesvorsitzende der SPD. Als der Posten der Kinder- und Bildungssenatorin frei wurde, hat mich der Bürgermeister gefragt, ob ich diese Stelle übernehmen würde. Erst habe ich gedacht, dass das eine riesige Aufgabe wird, aber weil ich Kinder- und Bildungspolitik schon in meiner Zeit in anderen Bereichen der Politik für sehr wichtig befunden habe, habe ich dann doch „Ja“ gesagt. Gerade, da in diesem Bereich noch sehr viel durchzusetzen und zu gestalten ist.  

Woran arbeiten Sie zurzeit?

Ich arbeite daran, allen Kindern ein Angebot einer Kita oder Krippe machen zu können und dafür zu sorgen, dass wir genug Personen haben, die in den Kitas arbeiten und frühkindliche Bildung anbieten. Zudem natürlich, dass wir an den Schulen ausreichend Personal für die Schülerinnen und Schüler, die schon da sind und die auch noch kommen werden haben, so dass wir einen verlässlichen Unterricht gewährleisten können. 

G8 / G9 & Klassenstärke

Gibt es Überlegungen in Bremen zu ausschließlich G9 zu wechseln und falls nicht, wieso nicht?

In Bremen haben wir ein Schulsystem in dem man in zwei Schulformen das Abitur machen kann: Die Oberschule mit G9 und das Gymnasium mit G8. Somit können alle, die das Abitur in 13 Jahren machen möchten, dies auch machen und deswegen müssen wir da gar nichts ändern.

Die Schüler*innen Anzahl in Klassen, am Gymnasium wurde von 30 auf 32 erhöht, wobei diese an Oberschulen noch immer bei 25 liegt, wie kann das sein?

Die Regelklassenfrequenz bei Gymnasium liegt weiterhin bei 30 Schülerinnen und Schülern, manchmal muss die aber überschritten werden, wenn sehr viele Kinder zusätzlich kommen. Oberschulen haben eine Regelklassenfrequenz von 25 Schülerinnen und Schülern. Das liegt daran, dass Oberschulen alle Kinder mit sehr unterschiedlichen Leistungsniveaus beschulen müssen und diese zieldifferenziert unterrichten. An Gymnasien sind hingegen nur die Schülerinnen und Schüler, die eben auch G8 machen möchten und somit sind die Herausforderungen an Oberschulen für die Lehrkräfte andere.

Lizenzen für digitale Schulbücher sind oft für 30 Schüler*innen ausgelegt. Seitdem die Klassenstärke aber auf 32 erhöht wurde, bräuchte man pro Klasse zwei Klassensätze um alle Schüler*innen mit digitalen Schulbüchern zu versorgen, was aber absolut nicht im Budget der Jahrgänge ist. Verbaut man sich da nicht selbst den Weg zu der Nutzung von digitalen Schulbüchern?

Zu den Details kann ich jetzt nichts sagen, aber es ist klar, dass natürlich alle Schülerinnen und Schüler die Möglichkeiten nutzen können müssen, die an den Schulen über die Digitalisierung entstanden sind. Weil eine Lizenz nur für zwei auch finanziell keinen Sinn macht, muss in so einem Fall klassenübergreifend gedacht werden, oder es braucht eine Lizenz für 32. Darüber werden wir mit den Schulbuchverlagen sprechen

Lehrer:innenmangel

In unserem Schulalltag fallen viele Stunden aus, deren Stoff für uns auch Abiturrelevant ist. Aus eigener Erfahrung haben wenige Wochen des bisherigen Schuljahres vollständig stattgefunden, was bei uns zu einigen Fragen bezüglich des Lehrer*innenmangels geführt hat.

Wir merken in unserem Schulalltag, dass sehr viele Stunden entfallen. Lehrkräfte verdienen in Bremen im Vergleich weniger, viele steigen verfrüht aus dem Beruf aus, an unserer Schule arbeiten nur 20% der Lehrkräfte in Vollzeit und es ist viel zu wenig Zeit für die Vor- und Nachbereitung bzw. Korrekturzeiten vorgesehen: All dies macht den Beruf unattraktiv für Lehrer*innen in Bremen; wieso ist das so?

In Bremen gehen im Bundesvergleich nicht mehr Menschen früher in Pension, das ist ein deutschlandweites Problem. Bei den Grund- und Oberschulen in Bremen gibt es sogar einen Gehaltsvorteil bei den Lehrkräften im Bundesvergleich. Ich finde es falsch, dass seit Besoldung Ländersache geworden ist, Lehrkräfte trotz gleicher Arbeit unterschiedlich bezahlt werden, nur weil sich reiche Länder eine andere Besoldungsstruktur leisten können. Insgesamt ist die Großstadt Bremen als Arbeitsort attraktiv, aber wie in allen anderen Bundesländern auch, gibt es in Bremen zu wenig Lehrkräfte, weswegen wir mehr Lehrerinnen und Lehrer ausbilden und Quereinsteigendeanwerben müssen, um Fehlzeiten entgegenwirken zu können. Außerdem versuchen wir auch Angebote von z.B. Sportvereinen oder Musikschulen in den Unterricht zu integrieren, um den Fachunterricht zu ergänzen. 

In einem Unijahrgang „Lehramt auf Geschichte“ haben von 9 Studierenden nur 4  den Abschluss geschafft und die sind dann nach Niedersachsen gegangen. Bei diesem Beispiel stellt sich uns die Frage, was sie ganz konkret tun, um Lehrer*innen und Referendar*innen in Bremen zu behalten?

Bei Abschlussveranstaltungen an den Unis informieren wir die angehenden Lehrkräfte über die Vorteile als Lehrerin oder Lehrer in Bremen, denn die Erfahrung zeigt, dass Referendarinnen und Referendare, die die Bremischen Schulen kennengelernt haben, sich meistens auch hier als Lehrkraft bewerben. Manchmal ist aber auch schlichtweg der Fahrtweg entscheidend oder andere Faktoren, die wir nicht beeinflussen können. Dennoch stellen wir uns natürlich die Frage, ob es vielleicht noch andere Anreize gibt, die wir schaffen können, um als Standort zu überzeugen.

Im Zuge unserer Recherchen zu diesem Interview haben wir mitbekommen, dass Referendar*innen in ihrer Probezeit häufig an Brennpunktschulen geschickt werden, oder dann nebenbei noch mit bspw. der Einrichtung der iPads belastet werden. Dadurch fühlen sie sich überfordert und das ist doch eher hinderlich, da es den Beruf unattraktiv erscheinen lässt? 

Mein Eindruck ist, dass die Referendarinnen und Referendare eher positiv überrascht sind von dem Grad der Digitalisierung und Inklusion in Bremen, da wir bundesweit nicht nur in inklusiver Beschulung Spitze sind, sondern auch was die Abschlüsse der Kinder mit Förderbedarf angeht: Hier schaffen viel mehr einen regulären Schulabschluss. Das motiviert Referendarinnen und Referendare dazu, in diesem System mit diesen modernen Möglichkeiten arbeiten zu wollen, aber selbstverständlich müssen Schulen und Kollegien drauf achten, dass in einer Situation, wo Fachkräfte fehlen, junge Kolleginnen und Kollegen nicht überfordert werden. 

Wir haben auch selber erlebt, dass gegen Lehrer*innen, die negativ auffallen nur sehr wenig unternommen wird, sie müssen z.B. nicht ihre Verbeamtung niederlegen und werden nur an eine andere Schule geschickt, so wird das Problem jedoch nur verlagert. Wie kann man das ändern?

Der vollständige Entzug des Beamtenstatus ist ein einschneidender Schritt und daher aus gutem Grund eine hohe Hürde, gegen welchen die Betroffenen auch klagen können, weswegen es sehr wichtig ist, sich in jedem einzelnen Fall anzusehen, welche Maßnahmen zu einer Verbesserung führen können, wobei dies in einer gewissen Schrittfolge vonstatten geht. Trotzdem ist es wichtig, dass Schülerinnen und Schüler Bescheid sagen, wenn Lehrkräfte sich nicht richtig verhalten.

Da nun immer mehr Quer- und Seiteneinsteiger*innen ohne verpflichtende pädagogische (Grund-) Ausbildung im Schulbetrieb eingesetzt werden, fragen wir uns wie hier überprüft wird, welche Menschen eigentlich Schüler*innen unterrichten dürfen. Sollte man hier eine solche Ausbildung nicht verpflichtend einführen?

Die Idee bei Quereinsteigenden ist, dass Personen, die keinen pädagogischen aber einen akademischen Beruf gelernt haben und sich das Unterrichten in der Schule zutrauen auch dort tätig sein können. Sie werden in den ersten 2 Jahren eng begleitet und arbeiten nicht in Vollzeit. Ein große Anteil ihrer Arbeitszeit findet am Landesinstitut für Schule statt, wo sie den pädagogischen und fachdidaktischen Teil erlernen. Bevor sie das erste Mal in der Klasse stehen, kriegen sie einen Intensivkurs und werden auch danach weiterhin begleitet, um die nötigen Kompetenzen, die im Lehramtsstudium erworben werden, ebenfalls zu erlernen. Hier müssen wir uns immer wieder ansehen, ob diese Maßnahmen ausreichen oder ob noch mehr Unterstützung notwendig ist, das gesamte Programm wird stetig weiterentwickelt und verbessert.

Und welche Maßnahmen ergreifen Sie konkret, um trotz des Lehrer*innenmangels und den angesprochenen Problemen, für die Aufrechterhaltung der Qualität des Unterrichts zu sorgen?

Ich glaube das sich in der Digitalisierung eine große Chance bietet. Zum einen, weil man Zugang zu viel mehr Materialien und Informationen bekommt, wodurch das Lernen individueller und selbstständiger wird. Und zum anderen haben durch die Schulipads alle Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, auf diese Angebote zuzugreifen. Aber das Wichtigste ist und bleibt einfach, dass es genug Menschen mit ausreichend Zeit in den Schulen gibt, die sich mit den Kindern und Jugendlichen beschäftigen und nicht nur in ihrem Fach gut sind, sondern auch das Wissen vermitteln können.

Da viele Probleme in der Schule und im Schulalltag durch finanzielle Mittel gelöst werden können (z.B. Infrastruktur, Digitalisierung) fragen wir uns, wieso nicht mehr Geld in Bildung investiert wird. Können Sie das in drei Sätzen zusammenfassen?

Ich glaube, dass Bildung eine gesamt-gesellschaftliche Aufgabe ist und von ganz Deutschland gestemmt werden sollte. Bremen hat weniger Haushaltsmittel zur Verfügung und zudem hat hier mehr als die Hälfte aller Kinder mindestens ein Bildungsrisiko (im Bundesdurchschnitt sind es etwa 20%). Daher bin ich für einen nationalen Bildungspakt (wie schon von Thomas Röwekamp (CDU) vorgeschlagen),  ein Sondervermögen für Kinder und Bildung. Es ärgert mich, dass man 100 Milliarden für den militärischen Bereich für notwendig und in Ordnung hält und es im Bereich Bildung, wo es um die Zukunft des Landes und der Menschen geht, so schwer fällt, auch nur über eine Milliarde zu entscheiden. 

Sozialsystem

Inwieweit halten sie eine engere Zusammenarbeit mit Sozialfachkräften und der Schule, oder sogar schulinterne Sozialfachkräfte, wie zum Beispiel Schulpsycholog*innen für umsetzbar?

Es ist gut, dass es in Bremen Schulsozialarbeit gibt, und Psychologinnen und Psychologen an den ReBUZ. Wir werden es nicht schaffen, Fachkräfte für alle Bereiche zur Lösung aller gesellschaftlichen oder persönlichen Probleme an jede Schule zu schicken. Erste Ansprechspartner sind die Lehrkräfte oder andere erwachsene Bezugspersonen, die dann, je nach Situation, an Hilfe außerhalb der Schule vermitteln. Dabei brauchen wir mehr Kommunikation zwischen den einzelnen Bereichen.

Solltet ihr Hilfe benötigen, könnt ihr erste Anlaufstellen zum Bespiel hier finden.

Außerdem könnt ihr euch jederzeit an die Schulinternen Vertrauensschüler- und Lehrer*innen wenden.

Inklusion

Das Kippenberg-Gymnasium liegt im Thema Inklusivität im Vergleich zu anderen Schulen noch zurück, was zum Beispiel Barrierefreiheit, genderneutrale Toiletten, Inklusionsklassen, oder kostenfreie Hygieneartikel angeht. Können Sie als Bildungssenatorin Einfluss darauf nehmen?

Wir arbeiten dran, auch ältere Schulgebäude barrierefrei zu gestalten, das ist aber leider nicht überall möglich. Über genderneutrale Toiletten kann die Schulkonferenz selber entscheiden und gucken, was die Schülerinnen und Schüler da für Vorstellungen haben und was umsetzbar ist. Hygieneartikel werden aber von meiner Behörde bezahlt, wodurch die Schule kostenlos Hygieneartikel zur Verfügung stellen kann. Dafür muss nur ein Antrag gestellt werden. So selbstverständlich, wie wir auch Klopapier bezahlen, so selbstverständlich bezahlen wir auch Hygieneartikel.

Persönliches

Wie war Ihre Schulzeit so und erinnern Sie sich an ähnliche Probleme, wie jene, die wir beschrieben haben?

Ich erinnere mich an Unterrichtsausfall und dass mich das nicht so unbedingt gestört hat :). Außerdem haben wir uns über so manche politische Haltung von Lehrkräften und ihren Umgang damit aufgeregt. Damals wie heute war politisches Engagement in der Schule wichtig und notwendig, weshalb ich auch in der SV aktiv war. Insgesamt denke ich aber, dass die Herausforderungen von jungen Menschen, die heute zur Schule gehen, andere sind als diejenigen, die ich in den 80ern hatte.

Was war das bisher schönste Erlebnis ihrer gesamten Berufslaufbahn?

Als Jugendrichterin habe ich manchmal  gegen den Vorschlag des Staatsanwalts, die Person solle eine Jugendstrafe im Gefängnis absitzen, entschieden, dass wir diesem Menschen noch eine Chance geben, weil es sein kann, dass er doch einen Ausbildungsplatz bekommt. Immer wenn dieser Mensch dann wegen keiner weiteren Straftat, sondern aus freien Stücken zu mir kam und mir sagte wie gut das war, dass er die Ausbildungsstelle annehmen konnte, da ging mir wirklich das Herz auf.

Wie wird sich das Bildungssystem in Bremen zukünftig entwickeln und welche Projekte wollen Sie aktuell voranbringen?

Vor allem wollen wir jedem Kind so früh, wie möglich die besten Chancen geben, sodass alle eine KiTa besuchen und lesen, schreiben und rechnen lernen. Außerdem wollen wir die Möglichkeiten der Digitalisierung noch mehr nutzen und weitere Akteure und Angebote in den Schulunterricht integrieren (nicht nur bei Kunst und Musik) und natürlich nach wie vor viel mehr Lehrkräfte ausbilden, sodass Quereinsteiger nicht mehr anstelle von Lehrkräften, sondern zusätzlich zu diesen in Schule tätig sein können. In weiterer Folge wollen wir uns überdies auch Gedanken zu Projekten wie „Schule im Grünen“ machen und Themen wie den aktiven Klimaschutz stärker mit einbinden. 

Wir möchten noch anmerken, dass dies ein sehr besonderes Interview für „kippebloggt“ war. Wir als junge Redakteur*innen haben die Möglichkeit erhalten Fragen, die Schüler:innen und Lehrer:innen unserer Schule direkt betreffen, an eine Person zu stellen, die sich in diesem Bereich besonders gut auskennt und auch etwas bewirken kann. Wir sind sehr dankbar für diese Erfahrung und hoffen, einige Fragen gestellt zu haben, die auch Ihr interessant findet!

Das Interview wurde am 02.11.23 geführt und nach Überarbeitung durch die Landesbehörde für Kinder und Bildung hier veröffentlicht.