Lieber Lockdown,

du hast uns alle geärgert, genervt, gelangweilt und in den Wahnsinn getrieben! In diesem schwierigen Jahr hast du die Geduld von uns allen mehrfach gehörig auf die Probe gestellt – und tust es noch immer. Höchste Zeit, dir einmal für all das Gute zu danken, dass du uns beschert hast! Dafür dieser Brief.

Beginnen wir mit der Wertschätzung. Früher haben wir vieles für selbstverständlich genommen, doch du hast uns nun gezeigt, wie gut es uns eigentlich geht. Ich habe viele Aufnahmen von Menschen gesehen, deren Möglichkeit, während der Quarantäne frische Luft zu schnappen nur aus einem winzigen Balkon bestand. Und selbst sie hatten es gut im Vergleich zu denen, die nicht einmal einen Balkon haben und wirklich die ganze Zeit in ihrer Wohnung verbringen mussten und müssen. Ich bin jetzt sehr dankbar dafür, dass wir einen großen Garten haben, in den man jederzeit bei akutem Sauerstoff- und Bewegungsmangel ausweichen kann. Doch nicht nur der Garten ist in meinem Ansehen gestiegen, sondern auch -man kann es kaum glauben- die Schule! Wie oft habe ich mir während des sogenannten Home Schoolings gewünscht, stattdessen in diesem Moment in meinem Klassenzimmer zu sitzen. Ein recht ungewöhnlicher Traum für die meisten Schüler*innen. Ich hatte mich zwar ganz gut an die neue Situation gewöhnt und diese hatte vielleicht auch ein paar Vorteile gegenüber dem normalen Schulalltag, doch in der Schule hat man einen geregelten Tagesablauf, muss sich nicht ständig zum arbeiten überwinden, kann Fragen stellen und so weiter. Und natürlich kann man dort seine Freunde, beziehungsweise generell ein paar Menschen treffen. Dies ist ebenfalls etwas, das vermutlich außer mir auch die meisten anderen Menschen nun mit anderen Augen sehen und viel mehr wertschätzen: der Kontakt mit anderen Menschen und Freunden und die Möglichkeit, sich überall hin frei bewegen zu können. Spontan entscheiden, irgendwo hin zu gehen, ohne vorher prüfen zu müssen, ob und unter welchen Auflagen das erlaubt ist; Freunde treffen oder Bekannte mit einem Händeschütteln begrüßen. Vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie war das alles ganz normal und alltäglich, doch nach der Pandemie werden wir immer wissen, dass dies nicht selbstverständlich ist und wir froh sein können, uns frei bewegen und sozialen Kontakt zu anderen Menschen haben zu dürfen. Es gibt vermutlich noch viel mehr Dinge, die ich zu dem Thema „Wertschätzung“ hier aufschreiben könnte, lieber Lockdown, doch ich gehe jetzt einfach mal zum nächsten Punkt über:

Sport. Natürlich gab es während des Lockdown viele Einschränkungen, was Sport angeht: kein Fußball-, Handball- oder Tanztraining, kein Schwimmen und kein Klettern. Fast alle Aktivitäten wurden abgesagt. Doch verschwand der Sport deshalb komplett aus unserem Alltag? Ganz und garnicht! Zunächst einmal gab es natürlich die Möglichkeit, draußen Sport zu treiben. Man konnte Joggen, Fahrrad fahren, Skaten, eventuell auch Tischtennis oder Fußball mit der Familie spielen. Doch dabei sollte es nicht bleiben, denn wozu gibt es schließlich das Internet? Viele Sportvereine erstellten Videos, in denen Trainer*innen Sporteinheiten jeder Art absolvierten. Und plötzlich wurde in jedem Haushalt der Teppich zusammengerollt und der Tisch beiseite geschoben und dann ging es los, mit der Familie oder alleine. Später wurden teilweise sogar live-Sportstunden per Videotelefonat angeboten! Vielleicht fragen sich manche jetzt: „Und was ist so positiv an diesen Tatsachen? Ich würde doch viel lieber wieder „normal“ Sport machen!“ Das stimmt zwar, doch der Lockdown hat uns Möglichkeiten gezeigt, trotz Corona-Regelungen sportlich aktiv zu sein und ich denke, dass diese Erfahrungen auch in Zukunft nützlich sein können, wenn wir mal nicht die Möglichkeit haben, so Sport zu treiben, wie wir es gewöhnt sind. Vielleicht hat der eine oder andere während des Lockdowns (aus Langeweile) sogar mehr Sport gemacht als sonst oder auch eine neue Sportart ausprobiert, die ihm so gefallen hat, dass er sie auch nach der Pandemie weiterhin ausüben wird.

Sport war und ist eine Möglichkeit, sich trotz -oder gerade wegen- der „Corona-Beschränkungen“ zu beschäftigen, denn obwohl die ganze Situation teilweise recht stressig und anstrengend war, hatten viele Menschen plötzlich mehr von etwas, dass ihnen zuvor immer als zu knapp erschien: Zeit. Wenn die meisten Hobbys bis auf weiteres gestrichen sind, viele der Termine und auch der Schulunterricht digital stattfinden und das gesamte Leben sich hauptsächlich zu Hause abspielt, dann hat man auf einmal Zeit für all die Dinge, die man sich schon seit Ewigkeiten vornimmt, aber immer nur vor sich hergeschoben hat. Endlich wurden nun die Garage und der Keller entrümpelt, das Zimmer aufgeräumt und der Garten auf Vordermann gebracht! Alle halb fertigen Projekte, die man angefangen und nie zu Ende gebracht hatte, konnten nun fertiggestellt werden. Bis man all dies erledigt hatte, war auf jeden Fall ein großer Teil der Zeit vergangen, in der man sich sonst vielleicht nur gelangweilt hätte. Nun glänzte jeder Raum und meistens wurde beim Putzen und Aufräumen so mancher Gegenstand gefunden, den man nicht mehr gebrauchen konnte und daher aussortierte. Doch wohin mit all dem Kram? Während der Corona-Krise sind mir vor vielen Häusern Kästen und Kartons aufgefallen, an denen „Zu verschenken“ steht. Scheinbar überall, wo ausgeräumt wurde, stellen die Menschen ihre alten Sachen den Passanten zur Verfügung. Und manche haben anscheinend auch ihre Freude am Nähen wiederentdeckt, denn in einem Vorgarten wurden sogar selbstgenähte Masken verkauft.

Doch nicht immer war tatsächlich so viel Zeit da, wie man vielleicht gerne gehabt hätte. Vor allem zu Beginn des Home Schoolings hatten die Schüler*innen viel damit zu tun, die zahlreichen Online-Schulaufgaben rechtzeitig zu bearbeiten. Fiel einem dabei irgendwann die Decke auf den Kopf, konnte eine kleine Abwechslung die Laune wieder bessern. Und eine Abwechslung konnte während des Lockdowns vieles sein, denn selbst die alltäglichsten Dinge wurden nun zu einem kleinen Abenteuer. Ein Beispiel: Einkaufen. Normalerweise ist das keine große Sache, doch zur Corona-Zeit muss man einiges beachten. Mundschutz mitnehmen, Desinfektionsmittel einpacken?, Begrenzte Kundenzahl im Laden, Abstand halten, „Einbahnstraßen“ im Geschäft, lieber mit Karte zahlen, als bar. Selbst wenn man an alles gedacht hat, kann es sein, dass noch etwas dazwischen kommt. Es reicht ein Satz wie „Es dürfen leider nur zwei Personen gemeinsam in den Laden, nicht drei“ und aus dem Einkaufen wird ein Vor-dem-Laden-warten. Ein echtes Abenteuer eben. Und obwohl die vielen Beschränkungen uns vielleicht oft geärgert haben, hast du uns, lieber Lockdown, immerhin etwas Abwechslung und Spannung im langweiligen Corona-Alltag beschert!

Für alle Schüler*innen bestand ein großer Teil dieses Corona-Alltags aus dem Schulunterricht von zu Hause aus. Das Lernen fand dabei oft zu großen Teilen digital statt, wofür unsere, aber auch andere Schulen die Lernplattform Itslearning nutzten. Ich persönlich habe diese Website während der Schulschließung zum ersten Mal wirklich intensiv genutzt und ich denke, dass dies bei vielen anderen auch der Fall war. Das fiel besonders in den ersten Home Schooling-Wochen auf, als Itslearning oft überlastet war. Aufgrund dieser Überlastung war es manchmal nicht möglich, Dokumente herunterzuladen oder die Seite überhaupt zu öffnen. Zum Glück wurden diese Probleme schon nach wenigen Wochen behoben und das Online-Lernen konnte ungebremst weitergehen. Und schließlich wurden die Bremer Schulen sogar mit iPads für alle Schüler*innen ausgestattet! Danke, lieber Lockdown, dass du auf die Mängel und Probleme aufmerksam gemacht hast, die bei der digitalen Ausstattung der Schulen bestanden und bestehen! Und nicht nur das! Du hast dafür gesorgt, dass wir alle unsere Fähigkeiten, was den Umgang mit digitalen Medien angeht, verbessert haben (sofern wir das nicht schon zuvor sehr gut konnten). Denn schließlich fand (und findet) nicht nur der Schulunterricht digital statt, sondern auch vieles andere wie Hobbys und die verschiedensten Veranstaltungen. Einiges kann mittlerweile wieder analog stattfinden, doch erfordert die Organisation von Treffen und Veranstaltungen noch viel Aufwand und Kreativität. Ich denke, dass wir in der „Corona-Zeit“ gelernt haben, flexibel zu sein, sich an die Situation anzupassen und das Beste daraus zu machen.

Und zu guter letzt: der Umweltschutz. Trotz Corona bleiben der Klimawandel und die Umweltverschmutzung natürlich weiterhin ein großes Problem, welches so schnell wie möglich gelöst werden muss. Man könnte sagen, dass der Umweltschutz während des Lockdowns zu kurz gekommen ist, schließlich hat sich die Politik zunächst in erster Linie um die Corona-Krise gekümmert und (auch) beispielsweise die Demonstrationen von FridaysForFuture konnten nicht mehr analog stattfinden. Doch der Lockdown hat tatsächlich auch ein wenig zum Umweltschutz beigetragen. Es wurde zum Beispiel der Flugverkehr stark eingeschränkt, sodass weniger Abgase von den Flugzeugen in die Luft gepustet wurden. Da viele „coronabedingt“ nicht ins Ausland reisen können oder wollen, werden oft nähere Ziele aufgesucht, wodurch ebenfalls die Umwelt geschont wird. Auch ein geringerer Straßenverkehr und weniger Industrieproduktion verringern den Ausstoß von Abgasen. Natürlich fanden diese Veränderungen bis jetzt nur in einem sehr kurzen Zeitraum statt, weshalb noch nicht klar ist, ob dadurch tatsächlich etwas bewirkt wurde. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, ist diese positive Wirkung nicht langfristig. Doch das könnte vielleicht erreicht werden, wenn jeder einzelne und alle gemeinsam weiterhin alles Mögliche dafür tun würden, die Umwelt zu schützen. Vielleicht hat die Corona-Krise den Menschen gezeigt, dass ein Zelturlaub an der Ostsee genauso schön sein kann wie ein Aufenthalt auf Mallorca. 😉

Ja, lieber Lockdown, du hast uns alle geärgert, genervt, gelangweilt und in den Wahnsinn getrieben, doch wenn man das Ganze von der anderen Seite betrachtet, so hast du uns auch einiges gegeben. Dies waren nur wenige der vielen kleinen Vorteile, die du uns gebracht hast. Vielleicht konnte ich trotzdem deinen schlechten Ruf mit diesem Lobbrief ein wenig verbessern. Wir hoffen alle auf ein möglichst Corona-freies Jahr 2021, es kann ja nur noch besser werden! 😉 Also – immer positiv denken und durchhalten!

Viele Grüße, lieber Lockdown, und hoffentlich auf Nimmerwiedersehen!